Ein Blick zurück auf unser Programm 2012 Lumpazivagabundus
Im Feenreich kommt es zu einer Wette: Wenn unter drei Sterblichen durch die Macht der Liebe einer gebessert werde, dann will Fortuna die Hand ihrer Tochter dem liederlichen Hilaris übergeben. Ausgesucht werden auf der Erde der Tischler Leim, der Schuster Knieriem und der Schneider Zwirn. Die drei Gesellen träumen eine Glückszahl und gewinnen in der Lotterie. Nach einem Jahr wollen sie sich wieder treffen um zu sehen, was der unerwartete Geldsegen aus ihnen gemacht habt …. Johann Nestroys Komödie Lumpazivagabundus oder das liederliche Kleeblatt ergänzte den Theatersommer 2012 im August. Zuletzt 1988 mit großem Erfolg in Ötigheim gespielt, kam das Stück in einer Inszenierung von Hannes Beckert auf die Bühne. Eine hochaktuelle Komödie mit Markus Wild-Schauber, Paul Hug und Reinhard Danner in den Rollen der drei vom Feenreich manipulierte Handwerksgesellen, die ihr Glück suchen.
Besetzung
Inszenierung Hannes Beckert, Musikalische Leitung Ulrich Wagner, Korrepetition Marius Zachmann, Choreografie Julia Krug, Andrei Golescu, Kostüme Sibylle Schulze, Bühne Bettina Scholzen, Regieassistenz Sarah Stolzer, Spielleitung Hannes Beckert, Soufflage Jennifer Hofmann
Personen
Stellaris, Feenkönig Roman Gallion, Fortuna, Beherrscherin des Glücks Lissi Hatz, Brillantine, ihre Tochter Jennifer Walther, Amorosa, Beschützerin der wahren Liebe Ulrike Weßbecher, Mystifax, Zauberer Werner Sachsenmaier, Hilaris, sein Sohn Stefan Hunkler, Fludribus, Sohn des Magiers Stefan Brkic, Lumpazivagabundus, böser Geist Paul Kühn, Leim, Tischergeselle Markus Wild-Schauber, Zwirn, Schneidergeselle Reinhard Danner, Knieriem, Schustergeselle Paul Hug, Pantsch, Wirt in Ulm Gerold Baumstark, Fassel, Oberknecht in einem Brauhaus Maximilian Tüg, Nanette, Tochter des Wirts Judith Weßbecher, Sepherl, Kellnerin Sarah Stolzer, Carolin Kohm, Hannerl, Kellnerin Nina Leber, Aknös, Magd bei Pantsch Natalie Horldt, Ein Hausierer (Lumpazivagabundus) Paul Kühn, Ein Tischlergeselle Rudi Wild, Strudl, Gastwirt in Wien Walter Kühn, Hobelmann, Tischler in Wien Kurt Tüg, Peppi, seine Tochter Tina Fortenbacher, Anastasia, seine Nichte Andrea Stolzer, Gertraud, Haushälterin bei Hobelmann Sabine Speck, Reserl, Magd Isabel Beckert, Hackauf, Fleischermeister in Prag Paul Kölmel, Ein Maler Michael Enderle, Bediente bei Zwirn Maximilian Tüg, Manfed Keller, Alexander Grünbacher, Walter Dühlmann, Stefan Brkic, Herr von Windwachtel Siegfried Kühn, Herr von Lüftig Siegfried Peter, Signora Palpiti Ulrike Karius, Camilla, ihre Tochter Saskia Stößer, 1. Reisender Siegfried Peter, 2. Reisender Manfred Keller
Erweitertes Orchester der Volksschauspiele Ötigheim, Tanzgruppen der Volksschauspiele Ötigheim, Junger Chor der Volksschauspiele Ötigheim, Zauberer, Magier und ihre Söhne, Frauen, Männer und Kinder der Volksschauspiele Ötigheim, Gespannfahrer
Impressionen aus dem Stück Bildergalerie
Pressestimmen
Statt Reichtum viele Kinderlein
Mit der Zauberposse Lumpazivagabundus über eine Feenwette haben die Ötigheimer Volksschauspiele eines ihrer Leib- und Magenstücke – ein Highlight des Alt-Wiener Volkstheaters – neu aufgelegt: Regisseur Hannes Beckert, selbst ein Erzkomödiant im passionierten Schauspieldorf, fügt der überwiegend historisierenden Inszenierung von Nestroys zynischer Komödie über die Verdorbenheit der Welt viel leichtfüßiges hinzu und aktualisiert sie mit sarkastischen Anspielungen auf die moderne Finanzwelt. Die rund 80 Mitwirkenden Solorollen, Chor- und Ensembleszenen auf der Freilichtbühne sind in der gut besuchten Premiere am Samstagabend vom Publikum mit Standing Ovations gefeiert worden – die Zuspitzungen über Finanzhassadeure und die derzeitige Krise sind auch im Zauberreich des Feenkönigs Stellaris angekommen. Dort ist Dauer-Party angesagt. Die Söhne des Reichs verjuxen ihr Geld mit Mädels in knappen Glitzerkleidchen hier wird gekartelt, viel getrunken und nichts Produktives getan. Lumpazivagabundus, Schutzheiliger der Säufer und Taugenichtse, hat seine Anhänger im Griff. Paul Kühn im lila schimmernden Satinanzug mit wilder Mähne spielt diesen Ungeist, der aus braven Handwerkern Faulenzer und Prasser macht und aus guten Feen blasierte, streitsüchtige Wettköniginnen, als luzide Rocker. Auf dem Gerüst der markanten Glöckner-Kulisse Notre Dame im Zentrum der Freilichtbühne turnt er dabei großspurig über den Köpfen seiner göttlichen Konkurrentinnen in nicht minder glänzenden Ballkleidern herum und treibt zum ausschweifenden Lebenswandel an (Kostüme: Sibylle Schulze). Das Fest der Überirdischen wird mit Stil begleitet vom erweiterten Sinfonieorchester der Ötigheimer Volksschauspiele unter der versierten Leitung des neuen Chefdirigenten Ulrich Wagner – der dank der in Wien ausfindig gemachten melodisch qualitätsvollen Original-Partitur von Adolf Müller senior das Volksstück schon fast zur kleinen Volksoper erhebt. So wird auf der Waldbühne vor dem Bühnenbild der Hauptstücks der Saison eine herrlich schwarze Musikkomödie mit Anleihen ans alte wienerische Zaubermärchen verquickt – in dem die Göttinnen wenig lieblich und friedliebend sind. Die kaltschnäutzige Fortuna (Lissi Hatz) und die auftrumpfende Amorosa (Ulrike Weßbecher) unterliegen selbst dem Wettfieber – und wollen für ihr egozentrisches Machtspiel drei lebenslustige Burschen mit Reichtum überschütten. Märchenhaftes und bitterböse Moderne sind munter gemixt zu einem kurzweiligen Abend – an dem Possen gerissen und sich gegenseitig ordentlich angestachelt wird beim Tanz auf dem Vulkan im Lumpazivagabundus, der im Zieleinlauf dank eines Eingriffs der Göttinnen quasi wie aus der Theatermaschine noch ein Happy End für die Gefallenen mit Kindersegen erreicht. Ob das Rettung verspricht? Der alte Nestroy wird in Ötigheim bei allem Ernst auch ein bißchen auf die Schippe genommen – und seine drei Anti-Helden sind ausgeprägte Charakterköpfe, die wenig Charakter zeigen: der eine liebestoll verjammert, der andere ein Hallodri, der dritte ein Säufer. Die drei Nestroy-Gesellen sind Paraderollen des Volkstheaters und mit drei Ötigheimer Schauspielern ideal besetzt, deren heitere Kabinettstückchen herrlich skurril sind und komödiantisch kaum Wünsche offen lassen. Markus Wild-Schauber (Tischer Leim), Reinhard Danner (Schneider Zwirn) und Paul Hug (Schuster Knieriem) landen als mittellose Wiener Handwerker auf der Flucht in Ulm, wo im Ländle der Schaffer selbst schon das Glücksrittertum fröhliche Urstände feiert. Nirgend’s gehts mehr rechtschaffen zu. Im Wirtshaus, in dem die Tunichtgute ihrem Schicksal begegnen sollen, herrscht Lottofieber – und im Schlaf auf harten Pritschen geben ihnen verführerische Lottofeen (ein Gruß im Mini aus der Glitzerwelt) die richtigen Zahlen ein. Ein Losverkäufer mit Bauchladen steht gleich parat – das Böse lauert überall. Die Verführung zum liederlichen gerät fast nebenbei bei Regisseur Beckert ins vermeintlich harmlose Possenspiel. Mehr amüsant als verdorben wirkt das – und hat elendige Konsequenzen wie im richtigen Leben. Wie vom feenhaften Fatum beabsichtigt, werden die drei Gesellen reich durchs los – aber nur einer, der Leim, wird nach einem Jahr solide und heiratet seine Peppi. Der Schneider hat sein Geld in Prag durchgebracht, der Schuster, auch ein Hobby-Astronom, hats versoffen. Markus Wild-Schauber muss zwar den brav gewordenen tischler geben, aber zeigt am Ende als Reicher mit elegantem Anzug auch die Arroganz eines Biedermanns, der es gefühlt zu etwas gebracht hat, und seine leichtsinnigen Kumpane nun selbst prüft. Die alten Helden sind wieder im Prekatriat gelandet – sind nicht immer bei Sinnen, aber doch ziemlich pointensicher. Reinhard Danner kann den eitlen Weiberhelden nicht abstreifen, den er als Neureicher von Zwirn in Prag mit Hingabe ausgelebt hat – und verbreitet gesanglich im Duett mit den italienisch palavernden Heiratsschwindlerinnen (Saskia Stößer, Christina Gailfuß) Operettenseligkeit. Paul Hug ist als trunksüchtiger, humoriger Knieriem ein bühnenbeherrschender Komödiant – und verbreitet am Schluss im aktualisierten Kometenlied Weltuntergangsstimmung mit kabarettistischer Schärfe. In vielen deftigen Szenen geben die Ötigheimer ihrem Nestroy publikumswirksam. Sie glänzen mit Spielwitz in abwechslungsreicher Folge von Ensembles, Duetten, klangsatten Chörn und mit erotischem Häftschwung bei den Tanzeinlagen (Choreografie: Julia Krug und Andrei Golescu). Es ist viel los auf der Waldbühne, zuweilen herrscht auch noch flotter Kutschenverkehr.
Liebenswerte Liederlichkeit
Ach, diese Jugend! Sogar im Feenreich verjubelt sie ihre Tage mit Wein, Weib und Gesang, statt redlich das Erbe ihrer Väter zu mehren. Und wer ist schuld? Der böse Geist Lumpazivagabundus, der sich damit brüstet, seine Brüder im Geiste würden sich auch durch Fortunas Segen (sprich: viel Geld) nicht bessern, sondern alles zum Fenster hinauswerfen oder mit Füßen treten. Nur die wahre Liebe sei mächtiger als er – woraufhin die gekränkte Glücksfee Fortuna mit der Liebesfee Amorosa eine Wette eingeht, bei der drei liederliche Handwerksburschen als Exempel herhalten müssen. Was werden der Tischlergeselle Leim, der Schneidergeselle Zwirn und der Schustergeselle Knieriem aus ihrem Leben machen, wenn sie den Hauptgewinn in der Lotterie ziehen? Johann Nepomuk Nestroys 1833 am Wiener Volkstheater uraufgeführte Zauberposse Lumpazivagabundus wird bei den Volksschauspielen Ötigheim nicht umsonst zum nun bereits vierten Mal (nach 1953, 1987, 1988) auf die Bühne gebracht. Das Biedermeier-Flair mit feschen Dorftrachten, zünftigen Wirtshausszenen, urigen Typen und Dialogen voller Missverständnis-Wortwitz lässt sich auf der prächtigen Freilichtbühne gut entfalten. Und das nutzt auch Hannes Beckert, einer der erfahrendsten Ötigheimer Bühnenakteure, der 1978 und 1988 selbst den Zwirn spielte, in seiner stimmungsvollen Inszenierung: Die Wirtshaus- und Hochzeitsszene profitieren ebenso von den vereinseigenen Tanzgruppen wie der keck getanzte Traum vom Lotterieglück (Choreografie: Julia Krug, Andrei Golescu), Choreinsätze und Volksauftritte beleben die Szene und die charakteristischen Reiterauftritte gehören diesmal den Gespannfahrern. Die rollen gleich gegen Anfang eine erste Pointe herein: Der piekfein herausgeputzte Herr in der Kutsche, den drei Handwerksburschen anschnorren, entgegnet mit Schweitzer Akzent, er habe selber nüüt, er sei lange Vorstandsvorsitzender eines großen deutschen Bankhüsli g’si. Woraufhin Leim, Zwirn und Knieriem mitleidig nicken und ihm ihrerseits ein paar Kreuzer aus ihrem fast leeren Beutel zustecken. An Rettungsschirme und Ackermänner, darf der Zuschauer da selber denken, der Szenenapplaus bei der Premiere spricht Bände. Solche Schlenker ins Hier und Jetzt sind freilich keine Modernisierung sondern pflegen vielmehr Nestroys Prinzip der satirischen Einsprengsel, die auch seinerzeit durchaus mal tagesaktuell improvisiertsein durften. In diesem Sinn spottet Knieriem in seinem Lied Die Welt steht auf keinen Fall mehr lang auch über Stuttgart 21 mit Zeilen wie In Zukunft werden schwäb’sche Hase / Oberhalb vom Bähnle grase. Darsteller Paul Hug bringt diesen derb, vierschrötigen Vollzeittrinker (I hob mein Rausch jahraus, jahrein / Es wird doch heut koan Ausnahm sein) ebenso spielfreudig über die Rampe wie Markus Wild-Schauber den zunächst unglücklich verliebten und später glücklich verspießerten Tischler Leim und Reinhard Danner den herrlich exaltierten Zwrin, der bei jeder Gelegenheit neckt, stibitzt, sich aufplustert und im Ernstfall doch immer kneift. Liebenswert liederlich schlagen sie sich durchs Leben, wobei Stück und Inszenierung sich eindeutig auf die Seite der leichtlebigen Hallodris schlagen. Für Gaudi sorgen unter anderem auch Kurt Tüg als Tischlermeister, den die begriffsstutzigen Gesellen fast um den Geduldsfaden bringen, Michael Enderle als katzbuckelnder Maler, Siegfried Kühn als sächselnder Aristokrat sowie Christina Gailfuß und Saskia Stößer als zickige Heiratskandidatinnen für Zwirn. Wobei ihre Komik eher im musikalischen Bereich abläuft, wie überhaupt eine ganz bedeutende Facette der mit Pause rund dreistündigen Aufführung darin besteht, dass hiefür extra die fast vergessene Original-Orchestermusik des Wiener Theaterkapellmeisters Adolf Müller senior (1801 bis 1886) die bislang nur als Handschrift im Wiener Stadt- und Landesmuseum existierte, decodiert und neu in Noten gesetzt worden. Diese Musik war in der Aufführungsgeschichte meist nur in Auszügen und mit kleineren Besetzungen gespielt worden, macht in vollem Umfang aber aus Lumpazivagabundus schon fast ein Singspiel. Und dass sie auch ansprechend und dynamisch erklingt, liegt in den Händen von Ulrich Wagner. Der Chordirektor und Kapellmeister des Badischen Staatstheaters Karlsruhe trat bei der Premiere erstmals als Orchesterleiter in Ötigheim auf, wo sich der seit 1996 wirkende musikalische Leiter Matthias Hammerschmitt zum Spielzeitende verabschieden wird.
Lumpazivagabundus
Zum vierten Mal wird derzeit auf Deutschlands größter Freilichtbühne in Ötigheim der „Lumpazivagabundus“ aufgeführt. Johann Nepomuk Nestroys Wiener Zauberposse hatte den Ötigheimern schon in den Jahren 1953, 1978 und 1988 Riesenerfolge beschert. Doch die diesjährige Inszenierung übertrifft alles bisher Dagewesene. Vor vollen Rängen und bei schönstem Kaiserwetter gaben die Volksschauspiele Ötigheim mit deutlicher Spielfreude Nestroys Alt-Wiener Komödie zum Besten. Wie im richtigen Leben hat auch im Feenreich der Sittenverfall seinen Einzug gehalten. Verantwortlich dafür ist der böse, verführerische Unglücksgeist „Lumpazivagabundus“. Die alten Weisen beklagen den moralischen Niedergang der Jugend, die der Spielsucht, dem Alkohol und den Affären frönt. So kommt es zwischen den Feen Fortuna und Amorosa zu einer Machtprobe. Die Wette gilt: wird unter drei Sterblichen einer durch die Macht der Liebe gebessert, so will Fortuna die Hand ihrer Tochter dem liederlichen Hilaris übergeben. Drei irdische Handwerksgesellen werden auserwählt: der Tischler Leim, Schuster Knieriem und der Schneider Zwirn. Die drei Gesellen träumen eine Glückszahl und gewinnen damit in der Lotterie. Nach einem Jahr wollen sie sich wieder treffen, um zu sehen, was der unerwartete Geldsegen aus ihnen gemacht hat. Nachdem sich Tischler Leim als einzig Anständiger im „liederlichen Kleeblatt“ der Handwerksgesellen erweist, hat die wahre Liebe letztlich doch gesiegt. Fortuna muss sich geschlagen geben. Im „Happy End“ heiratet Hilaris die Tochter der Fortuna und der böse Lumpazivagabundus wird aus dem Feenreich vertrieben. Dabei wies die turbulente Komödie auffällig viele Parallelen zu Shakespeares „Sommernachtstraum“ auf. In der Pause erfuhr ich, dass es sich bei den Akteuren nicht etwa um ein aus Wien eingeflogenes Ensemble, sondern ausschließlich um Ötigheimer Laiendarsteller handelte. Ich war erstaunt, denn der Vortrag der wienerischen Dialoge war so authentisch, dass sich jedem Provinz-Österreicher automatisch die Nackenhaare aufgestellt hätten. Die Proben seit November letzten Jahres hatten dieses Wunder möglich gemacht. Dass Hannes Beckerts Inszenierung obendrein erstmals die Musik in der originalen Fassung für großes Orchester brachte, ließ den Abend zum besonderen Erlebnis werden. Noch bis zum 25. August steht der „Lumpazivagabundus“ auf dem Programm der Freilichtbühne – lassen Sie sich dieses Kleinod des Biedermeier nicht entgehen.