Rössl: Tell me more!
Mit seiner Textreihe „TELL me!“ hat Markus Wild-Schauber die Geschichte Ötigheims mit Schillers „Wilhelm Tell“ beleuchtet. Nun führt er die Reihe mit mehreren Folgen zum „Weißen Rössl“ fort. Denn 2025 steht bei den Volksschauspielen eine Neuinszenierung des Operettenklassikers an.

Zwischen Sehnsucht und Romanze: Die wahre Geschichte hinter „Im weißen Rössl“
2025 bringen die Volksschauspiele Ötigheim „Im weißen Rössl“ in neuer Inszenierung auf die Freilichtbühne. Markus Wild-Schauber begleitet die Produktion mit dieser Textreihe. Folge vier erzählt von einer wahren Sommerliebe – oder zumindest von einer Begegnung, bei der man es vermuten darf. Wie genau sich alles zugetragen hat, wird wohl für immer ein Geheimnis bleiben. Sicher ist nur: 1897 wurde daraus ein Theaterstück – und später die Operette, die heute fast jeder kennt.
Wer diesen Sommer in Ötigheim die charmante Rössl-Wirtin Josepha und den schmachtenden Zahlkellner Leopold auf der Bühne erlebt, ahnt vielleicht nicht: Hinter der heiteren Geschichte könnte eine geheime Herzensangelegenheit stehen – voller Sehnsucht und leiser Zwischentöne.
Schon 1750 schrieb Carlo Goldoni die Komödie Mirandolina über eine kluge Wirtin, die nicht den reichsten, sondern den treuesten Verehrer – ihren Kellner – wählt. 2014 brachte der Jugendclub der Volksschauspiele dieses Stück unter dem Titel Die Wirtin auf die „kleine bühne“.

Doch Im weißen Rössl beruht nicht nur auf dichterischer Fantasie, sondern nimmt auch Bezug auf tatsächliche Personen und Orte im Salzkammergut:
In Lauffen bei Bad Ischl führte im 19. Jahrhundert die verwitwete Maria Aigner das Gasthaus „Zum Weißen Rössl“ – fesch, klug und selbstbewusst. Zu ihren Gästen zählte ab 1890 auch der Berliner Theatermann Oskar Blumenthal. Anfangs logierte er in Kaltenbach bei Leopold Petter, der sich vom Pikkolo zum erfolgreichen Besitzer mehrerer Hotels hochgearbeitet hatte.

Von dort zog es ihn täglich zum „Rössl“ – nicht allein des Essens wegen, sondern wohl auch wegen Maria Aigner. Eine offene Beziehung war unmöglich – Blumenthal war in Berlin verheiratet. Und so ließ er sich direkt gegenüber dem „Rössl“ eine Villa errichten, von deren Balkon er immer zum Gasthaus hinüberblicken konnte. Und wie so mancher Dichter und Komponist, verarbeitete Blumenthal seine Sehnsucht im kreativen Tun.

In der Vorsaison 1897, auf der Suche nach einem neuen Theatererfolg, erinnerte sich Blumenthal an Goldonis Stück. Zusammen mit Gustav Kadelburg adaptierte er die Handlung: Statt in Florenz spielte sie nun im Salzkammergut, statt der Wirtin Mirandolina trat Josepha Voglhuber auf – inspiriert von Maria Aigner. Und der Zahlkellner Leopold nahm Charakterzüge von Leopold Petter auf.
Sich selbst versteckte Blumenthal mit viel Selbstironie in der Figur des polternden Fabrikanten Wilhelm Giesecke, der im Liebeskarussell des Stücks immun gegen die Reize der Wirtin bleibt.
1897 feierte das Schauspiel Im weißen Rössl in Berlin Premiere – und wurde ein Triumph. Sogar Max Reinhardt inszenierte es später mit Gustaf Gründgens. Doch erst die Operette von 1930 machte die Geschichte unsterblich.
Wenn in diesem Sommer, fast 130 Jahre später, der Zahlkellner Leopold auf der Ötigheimer Bühne singt: „Es muss was Wunderbares sein, von dir geliebt zu werden…“ dann klingt in dieser Melodie vielleicht auch die stille Sehnsucht nach, die Oskar Blumenthal für Maria Aigner empfand – und die in der Kunst für immer weiterlebt.

„Was kann der Dixi denn dafür, dass er so schön ist?“
2025 bringen die Volksschauspiele „Im weißen Rössl“ in neuer Inszenierung auf die Freilichtbühne. Markus Wild-Schauber begleitet die Produktion mit dieser Textreihe. Folge drei blickt auf die rollenden Requisiten vergangener Rössl-Inszenierungen:
Die Operette Im weißen Rössl ist in jener Zeit angesiedelt, in der sie entstanden ist – den späten 1920er-Jahren. Auch als das Rössl 1978 erstmals in Ötigheim gezeigt wurde, verortete man die Ausstattung konsequent in diese Epoche.
Konkret bedeutete das: Nicht nur die Kostüme mussten dem Stil der Zeit entsprechen, sondern auch die Fahrzeuge. Regisseur Horst Herrmann erkannte sofort das große Unterhaltungspotenzial – den Schauwert – von Tierfuhrwerken und Oldtimern auf der Bühne. Gleichzeitig ließ sich damit symbolhaft der Kontrast zwischen den friedlichen Bewohnern von St. Wolfgang und dem lautstark hereinbrechenden Touristenstrom darstellen.
Ein Kuhfuhrwerk wurde benötigt, ein Omnibus – und natürlich sollte der schöne Sigismund auch ein schönes Automobil fahren. Anspannbare Kühe waren in Ötigheim damals schon nicht mehr vorhanden, doch im nahen Elchesheim wurde man fündig. Einen Omnibus aus den 1920er-Jahren hatte die Brauerei Hoepfner noch im Einsatz, und auch ein passender BMW Dixi, Baujahr 1928, wurde in Karlsruhe gefunden.

Der Dixi fand den Sommer über Unterschlupf in einer privaten Garage in der Ötigheimer Karlstraße. Der Omnibus hingegen musste für jede Aufführung eigens aus Karlsruhe geholt und am Ende der Aufführung wieder zurückgebracht werden. Hannes Beckert, einer der herausragenden Darsteller des Ensembles, übernahm diese stumme Aufgabe mit jener selbstverständlichen Hingabe, die das Ötigheimer Volksschauspiel seit jeher als gelebte Gemeinschaft auszeichnet.
Wenn gleich zu Beginn der Aufführung der alte Bus von rechts – vom „Ötigheimer Weg“ – auf die Bühne fuhr und die Sängerinnen und Sänger des Chores als Touristen ausstiegen, um die See-Terrasse des Weißen Rössls zu bevölkern, war ein fulminanter Auftakt gelungen. Die Bühne musste der Bus übrigens rückwärts verlassen – die Ausfahrt über die „hohle Gasse“ war schlichtweg zu eng.
Von dort wiederum tauchte später am Abend – es war ohne Sommerzeit schon früh dunkel – der BMW Dixi auf. Bevor man ihn sah, hörte man ihn: eine Hupe wie aus einem Laurel-und-Hardy-Film, dazu das charakteristische Schnurren des Motors. Dann durchschnitten zwei Lichtkegel die Dunkelheit. Der Wagen wurde vor dem Ötigheimer Wolfgangsee abgestellt – und das romantische Werben des schönen Sigismund um sein schüchternes Klärchen konnte beginnen.

Krönender Abschluss der Szene war der Neustart des Wagens. Mit untrüglichem Gespür für das komödiantische Potenzial der Situation und perfektem Timing entwickelte Paul Hug, in der Rolle des Sigismund, daraus eine Routine, die zum Kabinettstück wurde: Er griff zur Kurbel, versuchte mehrfach, den Motor zu starten – vergeblich. Schließlich, entnervt, gab er auf und lief davon. Und just in diesem Moment sprang der Wagen scheinbar wie von selbst an! In Wahrheit war es Klärchen (Silvia Kohm), die im Inneren des Fahrzeugs unbemerkt im richtigen Moment den Start auslöste. Das Publikum tobte – und auch der stets bis an den Rand mit Mitwirkenden gefüllte Orchestergraben zeigte: Diese scheinbar leicht gespielte Episode verlangte einen echten Komödianten – und fand ihn.
Bei der Inszenierung von 1993 kam der historische Bus dann von der Brauerei Moninger in Karlsruhe. Und Sigismund fuhr nun ein Ford A-Modell.

Für die Aufführung im Jahr 2009 veranstaltete Regisseur Manfred Straube ein regelrechtes Oldtimer-Casting. Mangels geeigneter Originalfahrzeuge aus den 1920er-Jahren wich man diesmal auch auf Modelle aus den 1950er- und 60er-Jahren aus.

Und wie bewegen sich die Darsteller 2025 über die Bühne? Lassen Sie sich überraschen!
Das Rössl tanzt – Berlin 1930
2025 bringen die Volksschauspiele Ötigheim „Im weißen Rössl“ in neuer Inszenierung auf die Freilichtbühne. Markus Wild-Schauber begleitet die Produktion mit dieser Textreihe. Folge zwei führt ins Berlin der 1930er: zur Uraufführung der Revue-Operette – inhaltlich dem ursprünglichen Theaterstück von 1897 verbunden, aber temperamentvoller, leichtfüßiger, funkelnd vor Musik und Lebensfreude. Und anders als die uns vertraute Rössl-Idylle der Nachkriegszeit.
Berlin, 8. November 1930: Vor dem Großen Schauspielhaus dröhnen Autohupen, Lichterketten flackern über dem Vorplatz, und auf dem alpenländisch umgestalteten Portal prangt farbenfroh: Hotel Zum Weißen Rößl. Bereits eine Woche vor der Premiere hat sich die Fassade in ein zweistöckiges Gasthaus verwandelt – mit gemalten Fensterläden, hölzernen Balkonbrüstungen und einem schneeweißen Rössl auf dem Dach. Das Theater, nahe dem heutigen Friedrichstadt-Palast, ist Berlins größte Revuebühne mit stolzen 3.500 Plätzen.

Doch das Spektakel endet nicht an der Fassade. Das gesamte Theater wurde zum alpenländischen Hotel: eine Rezeption, bemalte Wandvertäfelungen, Herzerltüren, Kraxlstiefel und eine rustikale Ausschanktheke mit hölzernen Tanzfiguren. Hotelportiers in Lederhosen servieren Getränke, Stubenmädchen im Dirndl geleiten die Gäste zu ihren Plätzen. Der Zuschauerraum ist Teil der Bühne – die Landschaft von St. Wolfgang ist bis in die glühenden Alpengipfel aufgebaut und geht rund ums Parkett. Das Theater ist Inszenierung, noch bevor das Stück beginnt.

Das Weiße Rössl ist zurück – nicht mehr als Bühnenschwank vergangener Tage, sondern als schillernde Revue-Operette. Regisseur Erik Charell, Broadway-erprobter Visionär, erschafft eine Sensation – wenn man so will: das erste deutschsprachige Musical. Die als „Singspiel“ angekündigte Uraufführung ist ein Ereignis – überschäumend und unerwartet. Ein Feuerwerk aus Tempo, Witz und Sex-Appeal. Alpenfolklore wird zitiert – und zugleich ironisch gebrochen. Legionen von Tänzerinnen im knappen Glitzerdirndl, Herrenensembles zwischen Frack, Lederhose und Bademode. Charleston auf Edelweißwiesen, Hüftschwung mit Augenzwinkern. Es prickelt wie Champagner im Wolfgangsee.

Für den von ihm gewünschten internationalen Sound bedient sich Charell gleich mehrerer Komponisten – Benatzky, Stolz, Granichstaedten, Gilbert, Künneke –, zitiert aber auch amerikanische Tanzmusik. Inspiriert vom Broadway, mischt er Jazz, Foxtrott und Tango ins alpenländische Kolorit. Der Kontrast zwischen ländlicher Folklore und urbanem Revue-Jazz wird zum bewussten Stilmittel. Das Tempo? Furios.

Die Bühne? Ein Technikwunder. Charell lässt für 1,5 Millionen Reichsmark ein „echtes“ Rössl samt beweglichen Gebirgszügen, aufblasbaren Tannen, Wasserfall und Wolfgangsee bauen. Ziegen grasen, Boote gleiten, ein Omnibus fährt vor. Eine Traumkulisse zwischen Postkartenidyll und Varieté-Glitzer, in der das Alpenländische leuchtet wie eine exotische Welt. Der ganze Gasthof lebt, tanzt, flirtet, strahlt in Farben und Kostümen – ein Rausch in Tracht und Takt.
Das neue Weiße Rössl ist Operette im Nachglanz der wilden Zwanziger – gemacht für eine Großstadt, die nicht schlafen will.
Mit seiner Textreihe TELL me! hat Markus Wild-Schauber die Geschichte Ötigheims mit Schillers „Wilhelm Tell“ beleuchtet. Nun führt er die Reihe mit mehreren Folgen zum „Weißen Rössl“ fort. Denn 2025 steht bei den Volksschauspielen eine Neuinszenierung des Operettenklassikers an. Der erste Beitrag blickt zurück: auf jene Mischung aus Mut, Musik und Miteinander, die das „Weiße Rössl“ vor fast 50 Jahren auf die Ötigheimer Bühne brachte:
Musikalisch waren die Volksschauspiele von Anfang an. Von Wilhelm Tell bis zur Passion – in jedem Schauspiel setzte Gründerpfarrer Saier auf die Wirkung seines viele hundert Stimmen starken Chores.
Werke des professionellen Musiktheaters hielten jedoch erst zwei Jahrzehnte nach Saiers Tod auf dem Tellplatz Einzug – und dies nicht ohne Magengrummeln.
Zum einen schien die leichtfüßige Operettenseligkeit nicht recht zu Saiers Credo von der Bühne als Kanzel zu passen. Und auch die Frage, ob diese Erweiterung des Repertoires überhaupt mit eigenen Kräften zu stemmen sei, wurde debattiert. Zum anderen gab es innerorts Bedenken, dass die Volksschauspiele damit in Konkurrenz zu Konzertveranstaltungen anderer Vereine treten könnten.
Horst Herrmann, seinerzeit bei den Volksschauspielen Kopf des Projekts, gelang es, diese Sorgen weitgehend zu zerstreuen. Zunächst, indem die erste musikalische Produktion, das Schwarzwaldmädel (1973–75), bewusst als Gemeinschaftswerk der Ötigheimer Vereine organisiert wurde. Der gemeinsame Erfolg öffnete dann die Tür für das Weiße Rössl (1978/79) – wieder unter Beteiligung der Vereine, nun aber als Produktion der Volksschauspiele aufgesetzt.

Um auch musikalisch das Versprechen eines rein Ötigheimer Ensembles und der Beteiligung aller umzusetzen, bearbeitete Rudi Kühn die Partitur. Manches wurde transponiert, anders instrumentiert, weggelassen oder ergänzt – eine Arbeit, die der damalige musikalische Leiter der Volksschauspiele als Kenner der Ötigheimer Musikszene geschickt umsetzte.

Was die Eignung des Weißen Rössl für Ötigheim betrifft, unterstrich Peter Selbach im Programmheft, dass es im Theater neben anderem eben auch das zeitlose Bedürfnis gebe, „von der Wirklichkeit abgelenkt zu werden, sich durch Unvernunft verzaubern zu lassen“. Außerdem sei das Rössl von den räumlichen und äußeren Gegebenheiten her „allemal Ötigheim regelrecht auf den Leib geschrieben“.
Zunächst vorsichtig nur für vier Abende im August angesetzt, entwickelte sich die Neuproduktion zum Kassenmagneten der Saison. Schon Wochen vor der Premiere waren die Karten verkauft.
Und Horst Herrmanns Inszenierung holte das begeisterte Publikum dort ab, wo es die Operettenverfilmungen der 50er- und 60er-Jahre zurückgelassen hatten: eine melodienreiche Melange aus Herz, Humor und Heimatliebe – volkstümlich, romantisch, nostalgisch verklärt, akustisch und visuell opulent und in jeder Phase unterhaltsam.

Theaterkritiker Dieter Schnabel lobte die Volksschauspiele: „Ist es nicht auch Aufgabe des Theaters, zu unterhalten? Oder soll es immer nur belehren, erziehen, verändern, provozieren, zum Nachdenken und zur Stellungnahme zwingen – zumal, wenn es sich als Volksschauspiel begreift? Und so ist gegen diese Erweiterung des Ötigheimer Spielplans gewiss nichts Grundsätzliches einzuwenden. Wesentlich ist vielmehr, dass auch die sogenannte leichte Muse ernst genommen und gut realisiert wird.“
Und genau das tat und tut man bei den Volksschauspielen.
Was mit Mut begann, wurde zur Tradition. Nach Horst Herrmann (1978/79, 1993) und Manfred Straube (2009) übernimmt 2025 Holger Hauer die Regie – in der Hoffnung, mit frischer Handschrift ein neues Kapitel dieser Ötigheimer Erfolgsgeschichte zu schreiben. Um auch das heutige Publikum für das Weiße Rössl zu begeistern.
