Les Misérables

Nach dem großen Erfolg von Der Glöckner von Nôtre Dame stand 2016 erneut  ein großartiger Stoff von Victor Hugo auf Deutschlands größter Freilichtbühne auf dem Spielplan: Les Miséra­bles! Der Kampf des Romanhelden Valjean um Gerechtigkeit, das berührende Schicksal der kleinen Cosette, ihre große Liebesgeschichte als junges Mädchen, Lieder und Chöre, waren die Zutaten dieses Revolutionsspektakels, das leidenschaftlich für Menschlichkeit und Brüderlichkeit eintritt.

Tiefe Emotionen, Lachen und Weinen, Freude und Trauer in schnellem Wechsel hervor zu rufen ist die große Stärke von Victor Hugo. Seine Figuren lebendig auf der Bühne zu erleben wird unvergesslich bleiben. Regie führte Peter Lüdi. Die insgesamt neun Aufführungen sahen 22.500 Besucher, was einer Auslastung von 71% entspricht.

Rollenbesetzung

Inszenierung Peter Lüdi
Musikalische Leitung Ulrich Wagner
Musik Hans Peter Reutter
Einspielung Philharmonie Baden-Baden
Bühne Bettina Scholzen
Kostüme Karel Spanhak
Choreografie Julia Krug, Andrei Golescu
Kampfchoreografie Winni Engber
Spielleitung Peter Lüdi, Rudi Wild
Regieassistenz und Soufflage Sabine Stößer, Anke Lellek
Reiterinspektion Jutta Kühn, Simone Fettig

PERSONEN

Jean Valjean Martin Kühn
Javert Matthias Götz
Der junge Valjean Johannes Kühn

Bischof von Digne Hans-Peter Mauterer
Madame Magloire, seine Haushälterin Petra von Rotberg

Monsieur Thénadier Sebastian Kreutz
Madame Thénadier Sabine Speck
Azelma, ihre Tochter, 6 Jahre Naya Patzelt
Éponine, ihre Tochter, 8 Jahre Mafalda Kühn, Mara Patzelt
Éponine, ihre Tochter, 17 Jahre Stephanie Kuhn
Fantine, Fabrikarbeiterin Jennifer Walther
Cosette, ihre Tochter, 8 Jahre Eva Beckert
Cosette, ihre Tochter, 17 Jahre Lena Bilharz, Anna Beckert

Marius Pontmercy, Student Alexander Grünbacher
Courfeyrac, Student Johannes Kühn
Enjolras, Student, Anführer David Kühn
Combeferre, Student Maximilian Tüg
Feuilly, Student Stefan Brkic
Jean Prouvaire, Student Johannes Tüg
Laigle, Student Lukas Tüg
Grantaire, Student, Trinker Markus Wild-Schauber
Bahorel, Student Sven Engel
Gavroche, Gassenjunge, 12 Jahre Florian Woll, Finn Schindele
Ein Wirt Georg von Zitzewitz

Isabeau, Bäcker Walter Dühlmann
Polizist 1 Siegfried Peter
Polizist 2 Stefan Brkic
Der Richter Claus Becker
Vater Fauchelevent Walter Kühn
Der Grantler Werner Sachsenmaier
Arbeiterin 1 Sonja Waldner
Arbeiterin 2 Claudia Körner
Arbeiterin 3 Tina Kalkbrenner
Arbeiterin 4 Marianne Lorenz
Directrice Lissi Hatz
Der Freier Sadek Achache
Schwester Simplicia Carmen Hunkler
Sergeant der Infanterie Mario Scholz
Baske, Diener Rudi Wild

Gespannfahrer Gustav Schäfer, Christian Bayrhof

Reiterei der Volksschauspiele Ötigheim · Tanzgruppen der Volksschauspiele Ötigheim · Großer Chor der Volksschauspiele Ötigheim · Galeerensträflinge, Fabrikarbeiterinnen, Prostituierte, Freier, Wirtshausgäste, Nonnen, Mönche, Bürgerinnen und Bürger, Soldaten und Offiziere der Spielergemeinschaft der Volksschauspiele Ötigheim

Pressestimmen

Pforzheimer Zeitung, 13. Juni 2016
Ötigheim eröffnet seine Jubiläumssaison mit Les Misérables

Noch kurz vor dem Start der ersten Aufführung in der diesjährigen Spielzeit – mit der auch das 110-jährige Bestehen der Volksschauspiele gefeiert wird – waren rund um die größte Freilichtbühne der Republik heftige Regenfälle niedergegangen, und nicht wenige der Besucher, die Karten für die Premiere hatten, fürchteten, die Aufführung des Schauspiels nach dem gleichnamigen Roman von Victor Hugo könne regelrecht ins Wasser fallen. Doch mitnichten: Zeitweise prangte über der Spielstätte gar blauer Himmel, der mit Einbruch der Dunkelheit zwar zunehmend bewölkter wurde – die ersten Tropfen fielen aber erst nach dem donnernden Schlussapplaus, mit dem die Darsteller für ihre bemerkenswerte Leistung belohnt wurden.
Knapp drei Stunden dauert das von Peter Lüdi inszenierte Stück nach dem fünfteiligen Roman Les Misérables (Die Elenden) von Victor Hugo, zu dem Lüdi auch den Text verfasst hat. Auch die von Hans Peter Reutter für die Inszenierung geschriebene Musik – eingespielt von der Philharmonie Baden-Baden – war erstmals öffentlich vor großem Publikum zu hören. Etwas komprimierter und konzentrierter könnte die Inszenierung allerdings noch an Gewicht gewinnen, denn die knapp 180 Minuten Aufführungszeit sind – trotz wunderbarer Kulisse und sehenswertem Spiel – einfach zu viel für das, was da in neuer Form spielerisch erzählt wird.
Im Zentrum der Handlung des von Victor Hugo 1862 im Exil beendeten Romans stehen die Pariser Juniaufstände im Jahr 1832, die mit eindrucksvollen Bildern dargestellt werden. Dabei stehen Jean Valjean, der in jungen Jahren wegen eines Brotdiebstahls zu mehrjährigem Galeerendienst verurteilt wurde, nach zahlreichen Fluchtversuchen und seiner Freilassung knapp zwei Jahrzehnte später mit neuer Identität eine steile Karriere als Bürgermeister und Unternehmer macht, sowie der Galeerenaufseher und spätere Polizeiinspektor Javert im Mittelpunkt der Handlung. Immer wieder begegnen sich Valjean und Javert, immer wieder trifft das unbändige Verlangen nach Freiheit und Gerechtigkeit Valjeans auf den Staatsgehorsam Javerts, dessen höchstes Ziel es ist, für Recht und Ordnung, nach Lesart der Obrigkeit, zu sorgen. Die Geschichte, in der es um Moral, Recht und Gerechtigkeit aber auch um Gewissensfragen, Schuld und Sühne geht, erzählt Lüdi vor der eindrucksvollen Kulisse der Freilichtbühne in 24 Szenen mit imposanten Bildern – begleitet von akustischen Impressionen, bei denen die vielstimmigen Chordarbietungen und die Orchestermusik mitunter nicht immer ganz im Einklang sind.
Bleibende Eindrücke hinterlassen mit ihrem Spiel freilich nicht nur Martin Kühn als Jean Valjean und Matthias Götz als Javert sowie viele der anderen Darsteller, die in mehr oder minder großen Rollen zu erleben sind. Vor allem Schauspieler Sebastian Kreutz (Monsieur Thénadier), einer der wenigen Profis im Kreis der vielen Amateurdarsteller, sowie Sabine Speck als dessen Gattin setzen gekonnt humorvolle Akzente. Wenngleich man sich manchmal – trotz brillanter Darstellung – etwas weniger Komik in dem sonst so ernsten Stück wünschen würde.
Gelungen in den komischen Momenten aber sicher die Bezüge zur Gegenwart in dem sonst eher klassisch im Stil der Mantel- und Degenfilme inszenierten Stück. Nicht zuletzt der türkische Staatspräsident Erdogan und die AfD bekommen so am Rande ihr Fett ab, was nicht nur mit vielen Lachern, sondern auch Applaus quittiert wird. (Ralf Recklies)

Badisches Tagblatt, 13. Juni 2016
Auf die Barrikaden für die Menschlichkeit

Mit großen Emotionen, heißblütigen Revolutionären, Truppenaufmärschen und Kanonendonner wird zum Saisonauftakt in Ötigheim eine Schlacht gegen die Unmenschlichkeit geschlagen: Die Volksschauspiele haben sich mit dem musikalischen Schauspiel Les Misérables nach dem fünfteiligen Romanklassiker von Victor Hugo ein epochales Werk des 19. Jahrhunderts vorgenommen, das mit seinem sozialrevolutionären Stoff über Gerechtigkeit und Barmherzigkeit als veritable Gegensätze die Grenzen alles bisher Dagewesenen auf der Freilichtbühne fast sprengt. Trikolore schwenkend bringen revolutionär gesinnte Badener das urfranzösische Spiel aber mit viel Herzblut und Eifer voran.
Regisseur Peter Lüdi hat den dreieinhalbstündigen Theaterabend über die Elenden aus Armut, Verbrechen und Unterdrückung zur neu arrangierten Musik von Hans Peter Reutter und mit allen wichtigen Ötigheimer Spielanteilen spektakelhaft umgesetzt. Die Philharmonie Baden-Baden spielte den Sound passend dazu unter der Leitung von Ulrich Wagner ein: von episch-bombastisch bis schräg atonal.
Schön ausstaffiert von Bettina Scholzen (Kostüme) im Stil der Revolutionszeit gelingen vor der Nôtre-Dame-Kulisse (Bühne: Karel Spanhak) große Volks- und Chorszenen. Die Ötigheimer Tänzerinnen lassen zu Can-Can-Anleihen die Hüften vor Madame Colettes Etablissement kreisen. Rasanter Kutscheneinsatz und Verfolgungsjagd der Polizeireiterstaffel treiben das breit angelegte Liebes- und Abenteuerstück voran, das eine Mischung aus den wichtigsten Strängen des Romans, Anleihen an bekannte Musical- und Filmversionen Freilichtbühnen tauglich zusammenführt. Dazu gibt es satirische Spitzen über die Reichen, die immer reicher werden und die Armen, die chancenlos sind von dem Buffo-Paar Monsieur und Madame Thénardier mit Revolutionsabzeichen am Revers.
Schauspielprofi Sebastian Kreutz (ehemals am Badischen Staatstheater Karlsruhe) und die Volksschauspiel-Darstellerin Sabine Speck sind als munteres Verbrecherpärchen mit Comedy-Qualitäten ein Genuss und mit ihren Conférencier-Aufgaben unabdingbar, um als Zuschauer die Moral zu behalten: angesichts dieser weit verzweigten Lebensgeschichte des ehemaligen Sträflings Jean Valjean und der zermürbenden Fehde mit Polizeiinspektor Javert, die während der Aufstände von 1832 auf den Pariser Barrikaden ein Ende nimmt.
Der Ötigheimer Martin Kühn spielt diesen starken Gebrochenen Jean Valjean, der wegen eines gestohlenen Brots zu 19 Jahren Straflager verurteilt wurde. Körperlich kein Berserker, wie Gérard Depardieu in dem TV-Mehrteiler, aber mit glühendem Feuer in den Augen beweist er schon in den ersten Szenen, in denen er einen riesigen Kahn im Ötigheimer See als Anführer der Galeerensklaven bewegt, eisernen Willen.
Einmal Verbrecher, immer Verbrecher: Die vernichtende Prophezeiung Javerts bei der Entlassung im Ohr, ausgezehrt und zerlumpt zeigt Kühn etwas kindlich Verhuschtes in der schicksalhaften Szene gegenüber dem besänftigenden Bischof (Hans-Peter Mauterer). Dank dessen Silbergabe wird aus dem Dieb aber ein Geläuterter: Fabrikbesitzer, Bürgermeister und angesehener Wohltäter.
Gegenspieler Javert bleibt dem früheren Dieb aber beständig auf den Fersen. Dem Gerechtigkeitsfanatiker verleiht Matthias Götz Statur. Die starke Raffung des Stücks mag dazu beitragen, dass das Bluthündische des verbissenen Verbrecherjägers der Restaurationszeit, der von Valjean bis zum Schluss nicht ablassen kann, etwas sanfter ausfällt.
Starke Charaktere, beschwörende Chöre und pure Intensität der auf Deutsch gebrachten Songs tragen dank einiger hübscher Ötigheimer Stimmen die Gefühlslage des sozialromantischen Strebens durch die revueartigen Schlüsselszenen. Die Fabrikarbeiterin Fantine, vom Leben und von Schwindsucht gezeichnet, wird von Jennifer Walther im zu Herzen gehenden Lied intensiv gespielt.
Einige starke junge Darsteller haben die Ötigheimer in petto: Eva Beckert fällt mit kräftiger Stimme als uneheliche Tochter Fantines auf, die von Valjean aus ihrem traurigen Schicksal errettet und groß gezogen wird. Der kleine Barrikadenkämpfer Gavroche (Florian Woll) trumpft gehörig auf. Die 17-jährige Cosette wird kess von Anna Beckert gespielt. Und Alexander Grünbacher verkörpert den jugendlichen Liebhaber Marius Pontmercy, hin- und hergerissen zwischen Kampfgeist und Cosettes Herz, mit nobler Haltung.
Mit Revolutionärseifer behauptet sich David Kühn (Enjolras) als Anführer auf den Pariser Barrikaden die Trikolore schwenkend bis zum leidenschaftlichen Höhepunkt der Inszenierung im Pulverdampf. Lüdi zeigt hier ganz nach Victor Hugos Brüderlichkeitsglaube viel Sympathie für die Aufständischen. An der Barrikade führt der Regisseur die Helden, die Leidenschaftlichen, die Elenden und ihre Verfolger, zusammen zum Showdown.
Der Ötigheimer Kraftakt geht dann ein bisschen rührselig zu Ende, aber mit der leisen Hoffnung, dass eine Gesellschaft, getragen von Menschlichkeit, Zukunft hat. Vielleicht auch erst im Jahr 3000?, wie Thénardier mutmaßt, noch bevor seine Schändlichkeit angeprangert wird. Immerhin die Premiere am Samstagabend ist vom Regen verschont geblieben und mit Standing Ovations gefeiert worden. (Christiane Lenhardt)

Badische Neueste Nachrichten, 13. Juni 2016
Mit viel Emotion und Pulverdampf

Wenn Thénadier auftritt, hat er die Lacher auf seiner Seite. Ob er nun noch vor Beginn als Programmverkäufer zusammen mit seiner Madame (Sabine Speck) im Rund des Publikums für Irritationen sorgt, oder ob er aus den Abwasserkanälen von Paris auftaucht und sich aus dem Stiefel die Brühe der Kloake schüttet – Monsieur Thénadier ist sowohl der kleine Kriminelle als Symbol für die unterste Klasse wie auch ein Clown, ganz im Stil der Comedia dell’ Arte.
In der Inszenierung Les Misérables auf der Freilichtbühne Ötigheim hat Sebastian Kreutz, Theaterfreunden in der Region noch aus seiner Zeit am Staatstheater Karlsruhe bekannt, diese Rolle übernommen und spielte sie mit seiner Partnerin Sabine Speck wunderbar aus. Zudem hat Thénadier die Aufgabe, die entscheidenden Szenen zu verbinden, was es dem Zuschauer wesentlich erleichtert, den einzelnen Handlungssträngen zu folgen. „Les Miserables“ beruht auf dem umfangreichen Roman von Victor Hugo, aus dem Regisseur Peter Lüdi eine knapp dreistündige Bühnenfassung entwickelt hat.
Die Handlung beginnt im Jahr 1796. Der König ist geköpft, die Königin auch, das Land ächzt nach der Revolution unter der Diktatur der Grande Terreur. Hungersnot und Gesetzlosigkeit prägen die gesellschaftliche Situation, in der die Hauptfigur Jean Valjean wegen eines Brotdiebstahls zu fünf Jahren Galeere verurteilt wird. Wegen vier Fluchtversuchen werden daraus 19 Jahre. Dort trifft er auf seinen ewigen Gegenspieler, den Polizeioffizier Javert, dessen Überzeugung lautet: Einmal Verbrecher, immer Verbrecher.
Die Wege von Valjean (Martin Kühn) und Javert (Matthias Götz als sein ebenbürtiger Gegenspieler des Helden) kreuzen sich immer wieder an den verschiedensten Stationen des Sozialdramas. Für Victor Hugo stehen sie für zwei gegensätzliche Menschenbilder. Einerseits: Ein Mensch kann sich durch erfahrene Güte bessern. Andererseits: Wer aus der Gosse kommt, bleibt auch dort. Natürlich darf eine zarte Liebesgeschichte nicht fehlen, auch die hat Peter Lüdi gekonnt und unaufdringlich hineingewebt. Auch die Massenszenen fehlen nicht: Mit viel Emotion und Pulverdampf entlädt sich die Wut der Studenten gegen die anhaltende Ungerechtigkeit in einem erneuten Aufstand, den Barrikadenkämpfen von 1832. Javert ist mittendrin, Jean Valjean wird wegen der Liebe seiner Pflegetochter hineingezogen.
Mehr als 400 Mitwirkende, dazu immer wieder Szenen mit Reiterei und Kutschen, große Auftritte der Chöre und Balletteinlagen, beispielsweise als leichte Mädchen vor der Schänke Thénadiers, schaffen ein buntes, spannendes Sittengemälde, bei dem sämtliche Orte der großen Freilichtbühne bespielt werden. Auch wenn historische Kostüme und der Kampf mit den Bajonetten eindeutig die Zeit des Geschehens festlegen – Sebastian Kreutz als Thénadier hat immer ein paar aktuelle, politische Seitenhiebe parat, die vom Publikum als das verstanden werden, was sie sind: Die Botschaft, dass sich seit dem Erscheinen von Victor Hugos Roman gar nicht viel geändert hat.
Peter Lüdis atmosphärisch dichte Inszenierung, deren Liebe zu Details immer wieder besondere Farbtupfer setzt, bietet darüber hinaus Musik, die eigens für die Ötigheimer Produktion entstand und aus der Feder des Düsseldorfer Komponist Hans Peter Reutter stammt. Sie empfängt den Zuschauer, stimmt ihn ein in das opulente Gesellschaftsgemälde der nach-revolutionären und napoleonischen Ära. Eingespielt wurde sie unter der Leitung von Ulrich Wagner, dem musikalischen Leiter der Volksschauspiele, von der Philharmonie Baden-Baden. Hans Peter Reutter hat seine Komposition wie eine Filmmusik angelegt, die Atmosphäre schafft, die gezeigten Bilder eindringlich untermalt und in manchen Szenen gänzlich den Text ersetzt. Das ist eindrucksvoll und nimmt von der ersten bis zur letzten Note gefangen. (Martina Holbein)

Badische Neueste Nachrichten, 13. Juni 2016
Bei Les Misérables wird heftig geliebt und gelitten

Glücklich konnte sich schätzen, wer am Samstagabend zur Premiere von Les Miserables auf der Freilichtbühne Ötigheim, mit der die Spielzeit eröffnet wurde, seine Decke nicht vergessen hatte. Denn obwohl einem die Inszenierung das Herz erwärmen konnte, wurde es doch für die Beine mit zunehmender Spieldauer recht kühl.
Und doch hatten die Theatermacher Glück gehabt: Ein Platzregen, der eineinhalb Stunden vor Beginn einsetzte, setzte zwar den Parkplatz unter Wasser, hörte aber pünktlich auf, als Pfarrer Erich Penka von der Josef-Saier-Stiftung die Spielzeit eröffnete. Programmheft für 2,50 Euro zu verkaufen, in seiner Fantasieuniform preist ein Uniformierter, später outet er sich als Wirt Thénadier, sie an. Sein Schnucki (Sabine Speck) fragt er über die Zuschauerköpfe hinweg Hast Du noch Wechselgeld? Sebastian Kreutz hat diese Rolle übernommen, die als Mittler zwischen Bühne und Publikum eingesetzt ist.
Er ist es, der clownesk immer wieder für Lacher in dem Drama sorgt, und der die Zuschauer sowohl von außen durch die knapp 40 Jahre dauernde Zeit der Handlung führt, als auch als kleinkrimineller Wirt seine Funktion im Spielgeschehen hat. Knapp drei Stunden Theater hat Regisseur Peter Lüdi aus den fünf Bänden des Romans Les Miserables von Victor Hugo gemacht und ein spannendes und mit Liebe zum Detail inszeniertes Gesellschaftsdrama geschaffen. Da passt alles zusammen: Die Bühnenmusik, die im Stile von Filmmusik fast über die ganze Spielzeit hinweg erklingt und die eigens für Ötigheim von dem Düsseldorfer Komponisten Hans Peter Reutter geschrieben wurde. Eingespielt wurde sie im Übrigen von der Philharmonie Baden-Baden unter der Leitung des Musikalischen Leiters der Volksschauspiele Ulrich Wagner. Die stimmigen Chor- und Volksszenen, die Kampfszenen mit viel Pulverdampf (Winni Engber, Michael Lerner), die Balletteinlagen (Julia Krug, Andrei Golescu) und natürlich die Reiterei, die nicht fehlen darf.
Für eines der Pferde war es eine Premiere in der Premiere, Tornado, das Pferd des Polizeiinspektors Javert (Matthias Götz) hatte seinen ersten großen Auftritt. Premiere war auch, dass eine Galeere in Ötigheim vor Anker ging: Nur in den ersten Szenen kommt das Meisterwerk der Ötigheimer Techniker zum Einsatz, da aber sehr eindrucksvoll. Auch für Kostümbildner Karel Spanhak war es Premiere, und er trug mit seinen Bildern, die er auf die Bühne brachte, wesentlich zum stimmigen, runden Gesamteindruck der Inszenierung bei.
Toll, beeindruckend lauteten die begeisterten Kommentare des Publikums, ein wenig anders, aber gut gemacht. Es feierte am Ende – das Wetter hatte übrigens gehalten – die Darsteller, nachdem sie gelitten, gekämpft, geliebt, verraten und gestorben waren. Und der schlitzohrige Thénadier, eine Rolle, die Sebastian Kreutz herrlich ausspielte? Er sparte nicht mit bissigen Seitenhieben auf derzeitige politische Entwicklungen im In- und Ausland und zeigte, dass Les Miserables weder antiquiert, noch verstaubt, noch kitschig ist, sondern in seiner inhaltlichen Aussage nach wie vor aktuell. Eine gelungene Inszenierung, sehenswert. (Martina Holbein)

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